Royal-Enfield-Herbst-Tour

Etappe 6: Die schöne Nackte vom Campingplatz – Fifty shades of green – Blümchensex und das Sado-Maso-Missverständnis
Der überdimensionale Hintern ist eine ikonographische Aufforderung zur Fortpflanzung. Mit halb offenem Mund sehe ich auf diese schöne, nackte Frau und ihre sekundären Geschlechtsmerkmale geben mir ein Versprechen, dass nicht gehalten werden kann. Nicht hier in dieser Gegend. In gespielter Besorgnis fragt mich meine Frau: „Sabberst du?“
Ich entgegne ihr, dass ich erschüttert bin. Und enttäuscht – zutiefst enttäuscht.
„Weil ich nicht solche Möpse habe?“ fragt meine Frau weiter. Dabei legt sie eine gute Portion Verzweiflung in ihren Blick. Als Komödiantin hat sie echt Potenzial.

Erschüttert und enttäuscht.
„Quatsch“, entgegne ich. Theatralisch schaut meine Frau an sich runter und meint, dass sie nun aber froh ist. Es gibt Momente, da könnte ich sie echt auf den Mond schiessen.
„Du weisst ganz genau, warum ich enttäuscht bin.“
Meine Stimme klingt giftig. Und ich ereiferte mich weiter: „Von allen Orten, dieser schönen ligurischen Küste suchst du uns die hässlichste und abgefuckteste Industriegegend als Ferienziel aus. Wir sind mit unseren Motorrädern an den stimmungsvollsten Städtchen und Dörfern vorbeigefahren und das nur um hier in dieser Trostlosigkeit zu laden.“
„Du musst lernen, die Dinge positiver zu sehen.“
Meine Frau klingt jetzt wie eine Psychotherapeutin, die auf einen renitenten Patienten einredet.
„Bei dir ist das Glas immer nur halbleer. Du kannst doch froh sein, dass ich nicht bei der Frau mit den Möpsen gebucht habe.“

Gut das wir nicht hier gebucht haben.
Damit hat meine Gattin nicht ganz unrecht. Ich schaue zu der schönen Nackten auf. Sie ist gemalt und dient als Sujet einer Reklametafel. Über ihr steht in großen Lettern: Camping Charly. Der Platz liegt hinter Gittern und ist geschlossen. Alles wirkt heruntergekommen und öde.

Versprechen die nicht eingelöst werden.
Meine Frau zeigt auf ein Betonmonstrum mit der Aufschrift Hotel Mare.
„Hier habe ich für uns ein wunderbares Zimmer mit Meerblick gebucht.“
Zwischen uns und der Unterkunft liegt eine stark befahrene Ausfallstrasse. Wir sind mit unseren Motorrädern an Charlys Campingplatz rechts rangefahren, um uns zu orientieren. Der Lärm der Strasse hämmert in meinen Ohren. Mitten in der Tristesse dieses Ortes kann ich den notorischen Optimismus meiner Frau nicht nachvollziehen. Da ist bei mir das Glas nicht halb, sondern ganz leer. Aber was soll’s.

Hässlicher Kasten mit schönen Zimmern.
Wir steuern unsere Motorräder in die Tiefgarage des Hotels und ich stelle meine Royal Enfield neben einer wunderschönen Moto Guzzi ab. Ihre Farbe ist olivgrün. Mein Motorrad hat somit einen würdigen Standplatz gefunden. Das ist ein Omen, dass ich mal als gutes Zeichen werte.

Schöne Motoguzzi
An der Rezeption werden wir freundlich empfangen und bekommen als erstes eine frohe Botschaft: Das Hotel spendiert uns ein kostenloses Upgrade. Eine Art Honeymoon-Suite mit sinnlichem Lichtkonzept. Ich bin gespannt.
Das Zimmer wirkt geschmackvoll und modern. Der Waschbereich ist von Offenheit geprägt. Die Gäste werden einladen, einander beim Duschen zuschauen. Keine schlechte Idee. Für mich heisst das allerdings, dass ich nun auch dort den Bauch einziehen muss. Das doofe ist nämlich, dass ich mit dem Alter an Attraktivität verliere, meine Eitelkeit aber immer mehr zu nimmt. Und in meiner Eitelkeit versuche ich stets eine gute Figur zu machen. Mit einer gerade Körperhaltung und dem Einziehen des Abdomens kann man da schon viel erreichen. Leider ist sowas auf Dauer ganz schön anstrengend. Da möchte ich wenigstens unter der Dusche die Seele mit dem Bauchfett baumeln lassen. Hier aber wird mir dieses Glück verwehrt bleiben.
In der Wand sind viele kleine blaue Lämpchen eingelassen. Irgendwie sieht das spacig aus. Meine Haut wirkt im blauen Licht bleich, fast schon vampirmässig. Allerdings soll blaues Licht ja gut gegen Akne sein. Vielleicht ist das eine Honeymoon-Suite für Teenager. Ich darf mich also nochmals jung fühlen.

Den Bauch beim Duschen einziehen.
Am Strandbereich des Hotels gönne ich mir einen Camparie Orange. Nach einer wilden Royal-Enfield-Fahrt schwimmen in meinem Blut Glückshormone und Adrenalin. Der Alkohol lässt mich wieder runterkommen. Ich beobachte einen Mann in meinem Alter. Er ist nicht sonderlich attraktiv, vom Typ so ähnlich wie ich. OK, er ist grösser, sieht nach Führungsposition aus und scheint wohlhabender zu sein. Also ist er doch attraktiver, aber nicht so attraktiv, als dass es die Frau an seiner Seite erklären würde. Die ist Anfang zwanzig und verfügt über Modellqualitäten. Sie scheint seine Geliebte zu sein. Bei dieser knackigen Schönheit ist die transparente Duschkonstruktion sicherlich voll der Hammer. Mein Hirn wabert angenehm im Campari und ich schließe die Augen. Für einen Moment stelle ich mir vor, dass ich anstelle des Mannes bin. Ich liege auf dem Bett und ergötze mich daran, wie sich diese jugendliche Schönheit unter der Dusche einseift.

Das Hirn wabert angenehm im Alkohol.
Aber das Glück des Kopfkinos währt nicht lange. Zielsicher holt mich meine Frau in die Realität zurück.
„Du lächelst so glücklich. An was denkst du gerade?“
Diese Frage katapultiert mich schlagartig in den Modus der Nüchternheit. Geistesgegenwärtig antworte ich:
„Ich hatte gerade daran gedacht, dass wir es hier doch schön haben.“
Ich lüge ohne rot zu werden und bin von meiner spontanen Rettungsaktion beeindruckt. Wow, ich hab’s noch drauf. Dann schaue ich zu dem ungleichen Pärchen und denke mir, dass der Mann ein Zauberer sein muss. Ein Mensch mit massiven inneren Werten. Oder sie ist ein Callgirl. Vielleicht will sie sich ja nur hochschlafen, spekuliere ich weiter. Dann werde ich romantisch: Am schönsten wäre es doch, wenn sie ihn einfach nur lieb hat. Bei diesem Gedanken wird mein Herz schwer. Die Erkenntnis der verlorenen Jugend überkommt mich. Mit leichter Schwermut realisiere ich, dass meine inneren und äusseren Werte bei weitem nicht ausreichen würden, um so ein junges Modell für mich zu begeistern. Naja, tröste ich mich, man kann nicht alles haben. Ich nehme einen ordentlichen Schluck vom Campari und lasse das Pärchen Pärchen sein. Dann greife ich mir ein paar Oliven und wende mich wieder meiner Gattin zu. Die strahlt über das ganze Gesicht. Freudig stellt sie fest:

Die Hauptsache ist doch, sie haben sich lieb.
„Da bist du also mit meiner Wahl zufrieden. Vorhin hat das ja noch ganz anders getönt.“
Ich lächele gequält. Ganz so perfekt war meine Geistesgegenwart wohl doch nicht.
„Es ist schön hier am Meer zu sitzen“, antworte ich vage und proste ihr zu. Dabei denke ich, dass ich auf den Typen schon ein wenig neidisch bin. Aber nur ein wenig. Sollte die junge Dame ausschliesslich aus finanziellen oder karrieretechnischen Gründen mit ihm das Bett teilen, dann möchte ich mit dem Kerl nicht tauschen. An der Herausforderung Sex für Geld war ich schon in Jugendjahren gescheitert. Seitdem habe ich es auch nicht mehr ausprobiert.
Ich widerstehe der Versuchung einen Olivenkern in den Pool zu schnippen und lasse meine Gedanken in längst vergangenen Zeiten wandern.

Jugendjahre
Es war an einem wunderschönen Frühlingsabend. Wir sassen in dieser Szenenkneipe: Panzerglas-Nobi, der eine eindrucksvolle Brille hatte und sein unvergleichlich debiles Grinsen zur Schau stellte. Der Gitarrist, der ziemlich schräge Punkmusik machte und diese extrem süsse Freundin hatte. Und ich, eine Jungfrau, die nicht den Mut aufbrachte, das den anderen zu sagen. Drei Azubis aus einer westdeutschen Kleinstadt. Drei Jungs, die wild entschlossen waren, ganze Männer zu werden. Feierlich hoben wir die Biergläser. Nur Nobi hob sein Limonadenglas – er vertrug kein Alkohol. Wir beschlossen das zu tun, was jeder Mann einmal in seinem Leben tun muss – so dachten wir zumindest. Wir wollten in den Puff gehen. Doch dann kam uns eine noch bessere Idee: Wir wollten ein Sexabenteuer im Amsterdamer Rotlichtviertel erleben. Gesagt getan. Da Nobi der einzige Nüchterne war, fuhr er. Wir schliefen währenddessen unseren Rausch aus. Mit genügend Bier im Blut ist das in so einem himmelblauen VW-Käfer gut machbar. Oder hatte er den schwarzen Polo? Ich weiss es nicht mehr so genau. Die Erinnerungen verschwimmen mit den Jahren.

Mit Panzerglas-Nobi ins Rotlichtviertel
In Amsterdam angekommen hiess es dann den Kater los werden. Mein Magen rebellierte und ich erbrach mich in einer Gracht. Danach ging es mir besser. An einem kleinen Büdchen vertrieb ich den üblen Geschmack im Mund. Holländische Matjesheringe sind in diesem Fall sehr hilfreich. Am späten Nachmittag endlich war mein Magen bereit, um es mit einer Frikadelle Spezial und ein paar Fritten aufzunehmen. Um so näher der Abend kam, um so mulmiger wurde uns Helden. Einzig der Gitarrist war fest entschlossen. So stolperten wir durch das Rotlichtviertel und bestaunten die leicht bekleideten Damen in den Schaufenstern. Panzerglasnobi verhielt sich dabei derart auffällig, dass wir ihn ein Stück zurückliessen. Der Gitarrist wurde lakonisch. Er meinte dazu: „Norbert gehört zu den wenigen Männern, die sich bei Frauen so dämlich anstellen, dass er nicht einmal bei einer Prostituierten landen kann.“ Diese Einschätzung war hart, traf aber den Sachverhalt. Panzerglasnobi wurde immer wieder von den Frauen oder deren Zuhältern weggeschickt. Man glaubte, dass er unter Drogen stand. Aber Nobi war absolut nüchtern. Nur halt – wie soll ich es sagen – naturtrüb. Der Gitarrist wählt sich eine Dame mit beachtlicher Oberweite und ich ging mit einer exotischen Schönheit mit. Sie griff nach meiner Hand und wollte mich in den Schaufensterraum führen. Doch ich zog die Hand nach ein paar Schritten wieder zurück. Dann entschuldigte ich mich höflich und ging meiner Wege. Im Grunde meines Herzens war ich ein Romantiker und ich wollte nicht hier meine Unschuld verlieren. Ich wollte nicht nur Sex. Ich wollte Liebe und Leidenschaft erleben. So ging ich zu dem Coffee Shop, den wir als Treffpunkt ausgemacht hatten. Dort rauchte ich von so einem marokkanischen Blütengedöns. Das fühlte sich ziemlich gut an und ich glitt in meine Phantasie ab. Im Rausch verliebte ich mich in eine Art Prinzessin, und mit ihr wollte ich den ersten wunderbaren Sex erleben. Nun, die Realität war dann doch eine andere. Mein erstes Mal war mit keiner Prinzessin und es ist auch ganz anders abgelaufen, als ich mir es gewünscht habe. (1) Aber dort, in diesem Coffee Shop schwebte ich in wunderbaren Vorstellungen.

Träumen von Liebe und Leidenschaft.
Mit der Zeit trudelte der Gitarrist ein. Nobi kam etwas später. Er hatte es tatsächlich nicht geschafft, käuflichen Sex zu erhalten. Und das trotz grosser Anstrengungen. Der Gitarrist war hingegen erfolgreich. Er meinte aber enttäuscht, dass es ihm seine Freundin viel besser besorgen würde. Eine tiefsinnige Erkenntnis. Nobi war frustriert und ass versehentlich zwei Haschischkekse, was dann dem Abend eine ganz unerwartete Wendung brachte. Denn Nobi hatte nicht nur Mühe mit Alkohol. Er vertrug auch keine Drogen.

Trostlose Gegend
In diesen Erinnerungen schwelgend gehe ich mit meiner Frau durch die trostloseste Gegend von Savona. So heisst der Ort, an dem wir gelandet sind. Wir steuerten ein kleines unscheinbares Lokal an. Der Koch ist ein waschechter Biker und Mitglied der Tomahawks. So nennt sich der örtliche Motorradclub. Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde dieser Club von drei Altrockern gegründet. Drei Männer, die mit diesem Verein die Werte und Träume ihrer Bikervergangenheit wiederbeleben.
Rockern wird ja oft eine gewisse Grobschlächtigkeit unterstellt. Der Koch hier ist ein gutes Beispiel dafür, dass da der äussere Schein durchaus trügen kann. Gross und massig steht der Mann am Herd und zaubert mit viel Feingefühl wahre Köstlichkeiten. Wenn er so gut mit seinem Motorrad wie mit dem Kochlöffel umgehen kann, dann muss er ein Gott auf zwei Rändern sein. Auf jeden Fall ist sein Essen das Beste, was ich bisher an der lingurischen Küste geniessen durfte.
Die Gattin des Kochs ist in seinem Alter. Eine kleine zierliche Frau, die das Lokal resolut führt. Die beiden hatten bestimmt eine wilde Jugend. Wenn sie heute mit ihren Kutten die alten Zeiten aufleben lassen, wirkt diese Symbiose von Jugendtraum und Alter sehr harmonisch. Anders als bei dem Herrn, der in feinem Zwirn seine junge Geliebte ausführt.

Gott mit Kochlöffel
Während ich mir eine Portion Spaghetti Vongole zuführe, muss ich nochmals an das ungleiche Paar denken. Eine Frau, Anfang zwanzig lebt ja in einer ganz anderen Welt, als wir mit mitte Fünfzig. Ja, auf einem ganz anderen Stern. In diesem Sinne hat der Mann Sex mit einem Alien. Zwar mit einem ziemlich scharfen Alien. Aber Alien bleibt nun einmal Alien.
Nein, ich möchte nicht mit ihm tauschen, denke ich mir und lasse genüsslich die Spagetti auf meiner Zunge zergehen. Ich habe hier einen schönen Abend mit meiner Frau. Die ist zwar nur ein Jahrzehnt jünger als ich, aber zumindest so alt, dass sie meine Lebenswelt nachvollziehen kann. Wir prosten uns mit den Weingläsern zu und ich sage meiner Gattin, dass ich sehr glücklich bin. Diesmal ist es keine Notlüge und ich geniesse ihr Lächeln in vollen Zügen.

Der Mann hat Sex mit einem Alien.
Am nächsten Morgen sitzt meine Frau auf dem Balkon und liest. Ich nutze diese Zeit, um ungestört und unverkrampft duschen zu können. Danach wühle ich in meinem Seesack. Den Spanngurt und die Verschlüsse meines rustikalen Gepäckstücks lege ich solange auf das Bett. Mein Outfit besteht aus Jeans und Unterhemd. Ich suche nach einer passenden Oberbekleidung. Dabei betrachte ich mich immer wieder einmal im Spiegel. Selbstzufrieden denke ich: “Wenn ich den Bauch einziehe, sehe ich gar nicht mal so schlecht aus.”
Ich grinse mir aufmunternd ins Gesicht und finde es schön, dass ich mit mir und der Welt zufrieden bin. So zufrieden, dass ich das Klopfen nur unterschwellig wahrnehme.
„Zieh dir ein richtiges Hemd an und schau wer da ist“, instruiert mich meine Frau.
„Sei nicht so spiessig“, antworte ich ihr und gehe im Unterhemd zur Türe. Die Dame, die das Zimmer zurecht machen möchte, steht vor mir. Mit einem freundlichen Nicken lasse ich sie ein. Einen Moment betrachtet sie mich in meinem Unterkleid, dann wendet sie sich ab. An ihrem Gesicht habe ich erkannt, dass ich ihr nicht gefalle. Merkwürdig, dabei ziehe ich doch bis zur Atemnot meinen Bauch ein. Aber anscheinend wird uns Männern in Sachen Attraktivität doch noch mehr abverlangt.
Die Frau schreitet auf das Bett zu und bleibt dort sichtlich irritiert stehen. Ihr Blick liegt jetzt auf den Utensilien, die ich vorhin auf das Lacken gelegt habe. Vom Balkon blafft meine Frau: „Ich soll mein sadomasochistisches Instrumentarium wegräumen. Für einen Moment begreife ich nicht, was sie meint. Doch dann wird es mir klar. Bei näherer Betrachtung könnte man durchaus meinen, dass wir hier mit Seesackverschlüssen und Spanngurt neckische Fesselspielchen gemacht haben. Die Dame vom Zimmerservice denkt das wohl auch. Sie scheint in diesem Moment gegen fürchterliche Bilder in ihrem Kopf anzukämpfen. Ich versuche es mit Humor zu nehmen und mime den Marquis de Sade in Feinripp. Mit einem frivolen Zwinkern räume ich die Sachen weg. Meine Frau, die die Szene vom Balkon aus beobachtet, verdreht die Augen.
Nach dem die Dame vom Zimmerservice gegangen ist, weist sie mich streng zurecht: „Musst du so ein Zeug auf dem Bett liegen lassen? Das ist doch total peinlich.“
„Ach nun mach kein Drama daraus“, entgegne ich. „Seit dem Film Fifty Shades of Grey sind sadomasochistische Praktiken ein fester Bestandteil des ganz normalen Blümchensex.“
Meine Frau kneift ein Auge zusammen und fixiert mich damit. „Wann hast du dir denn SOWAS angeschaut?“ In der Frage liegt ein Unterton, der mich vor Ärger warnt. Ich beginne leicht zu Stottern.
„Ja … äh … keine Ahnung … äh … ich … äh … irgendwann mal.“

S&M als fester Bestandteil des Blümchensex.
Ich glaube etwas Inquisitorisches aus der Frage heraus zu hören. Also gehe ich zum Gegenangriff über und beginne zu dozieren: „Ich habe Film studiert. Das heisst, nichts Menschliches ist mir fremd.“ In meiner Stimme liegt ein Pathos, dessen Lächerlichkeit mir erst jetzt auffällt. Na, wenn schon – denn schon, denke ich und lege noch etwas Pathos nach: „Die Analyse von Filmen aller Genre gehört zu meiner Profession.“ Dabei strecke ich meinen Zeigefinger in die Höhe und sehe aus wie Lehrer Lempel. Meine Frau schaut mich mit einer Mine an, als wäre sie eine konservativ-katholische Mutter, die ihren Sohn beim Pornokonsum erwischt hat. Dann schüttelt sie den Kopf und vertieft sich wieder in ihr Buch. Ich stehe mit erhoben Zeigefinger da und weiss für einen Moment nicht, wo ich damit hinsoll. Da meine Frau das Gespräch stumm für beendet erklärt, greife ich mir mein iPhone. Ein bisschen was in Facebooks Motorradgruppen schmökern, wird mir nach dieser ehelichen Interaktion guttun. Aber da täusche ich mich gewaltig. Von der Diskussion über Fifty Shades of Grey lade ich dort unversehens in einen Disput um Fifty Shades of Green. Am Ende wird mich der Nimbus einer Öko-Spassbremse umgeben. Ein Öko-Spassbremse, die Soft-Sado-Maso-Pornos schaut. Ich weiss nicht, ob man sozial noch tiefer sinken kann. Auf jeden Fall werde ich mich zutiefst missverstanden fühlen.

Eine Öko-Spassbremse, die Soft-Sado-Maso-Pornos schaut.
Dabei hat es gar nicht so schlecht angefangen. Ich schaue bei den Royal-Enfield-Buddys vorbei und sehe diesen Link. Ein Link, der bei mir sofort für gute Laune sorgt. Gypsy Chimp, das intellektuelle Schwergewicht unter den Motorradbloggern hat einen Beitrag geteilt. Ich liebe seine Texte. Sie sind klug verfasst und von bestechender Klarheit und Kürze. In der Hitliste meiner Lieblingsautoren steht Gypsy Chimp ganz weit oben. Es geht in seinem Beitrag (2) um die Umweltaktivistin Greta Thunberg und um den Umgang mit ihr in den Facebook-Motorrad-Gruppen. Dort werden immer wieder einmal Greta-Thunberg-Meme verbreitet. Kleine Bildchen mit infantilen Sprüchen, die sich über das Mädchen lustig machen. Gypsy Chimp setzt sich in seinem Beitrag mit diesem Phänomen auseinander. Wie gewohnt ist sein Text intelligent und seine Schlussfolgerung sind präzise. Zumindest auf den ersten Blick. Denn beim Lesen beschleicht mich ein ungutes Gefühl, jede meiner Hinzellen schreit nach Widerspruch. Am Schluss des Textes bleibt ein schaler Nachgeschmack. Ich spüre wie Ärger in mir aufsteigt. Ärger über diesen Text. Vor allem aber Ärger über mich selbst. Über meine Ignoranz. Ich habe das Phänomen der Thunberg und der Freitagsdemos bisher nur am Rande mitbekommen. Ich habe es kurz wahrgenommen und mir gedacht, dass es doch schön ist, dass sich die jungen Leute für eine bessere Welt einsetzten. Dann habe ich weiter in Motorradzeitschriften geblättert und mit ein paar Blähungen, meinen kleinen Beitrag zum CO2-Haushalt geleistet. Ich bin ignorant, obwohl mir die Dramatik des Klimawandels wohl bekannt ist. Ich weiss, dass die Menschheit zu viel Müll und Schadstoffe produziert. Mir ist klar, dass wir Ressourcen verbraten als gäbe es kein Morgen. Und ich? Ich mach fleissig dabei mit. Ich konsumiere was das Zeug hält, verbreite mit meinem Moped Lärm und verpeste die Luft dabei.

Ressourcen verbraten als gäbe es kein Morgen.
Ausser dass ich wählen gehe, ist mein politisches Engagement gleich Null. Anstatt mit anderen zusammen die Welt zu retten, kümmere ich mich nur um mein eigenes kleines Leben. Und während mir die Probleme der Welt am Arsch vorbei gehen, halte ich narzisstisch Nabelschau. Unter moralischen Gesichtspunkten ist mein Verhalten mehr als nur fragwürdig. In einem ethischen Kontinuum würde Greta Thunberg als leuchtende Heilige auf der Seite der Guten stehen und ich dümple im Drittel der Schlechten herum. Fifty Shades of Green: Als ignoranter, alter, weisser Mann hätte ich es wirklich verdient, gefesselt und ausgepeitscht zu werden. Wobei ich hier in aller Form darauf hinweisen möchte, dass mir das keine Freude bereitet. Schmerzen sind ja OK. Aber es darf nicht weh tun. Und in diesem Spannungsfeld liegt ein echtes Problem. Das gilt auch für das Fesseln. Bei dieser Praktik wäre es mir wichtig, dass meine Bewegungsfreiheit nicht allzu sehr eingeschränkt wird. Auch hier besteht ein Widerspruch, der nur schlecht aufzulösen ist. Ausserdem bin ich ziemlich gut darin Frauen auf die Nerven zu gehen. Und Männer, die es in dieser Lebensdisziplin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht haben, sollten sich nie von einer Frau fesseln lassen. Die Gefahr, dass sie einen dann einfach liegen lässt und sich vor dem Fernseher einen netten Abend macht, ist nicht unerheblich. Umgekehrt macht mich die sadistische Variante, also das Fesseln und Peitschen von Frauen auch nicht richtig an. Ich glaube, da kommt mir mein Hang zur Empathie in die Quere. Ich würde nur mitleiden. Ich kann es ja nicht einmal ertragen, wenn meine Gattin in der Küche schuftet. Ich muss dann immer die Tür zumachen. Denn nur wenn ich es nicht sehe, kann ich mich ohne schlechtes Gewissen dem süssen Nichtstun hingeben. Vielleicht liegt hier auch einer der Gründe, warum meine Frau und ich an unterschiedlichen Orten wohnen. Also, um auf den Punkt zu kommen: Eine Fifty-Shades-of-Green-Nummer habe ich mir mit all meiner Gleichgültigkeit redlich verdient.

Greta Thunberg auf der Seite der Guten, ich bei den Schlechten.
Und weil das Leben nun Mal ungerecht ist, werde ich diese Strafe nie kriegen. Aber das Leben ist nicht ganz so ungerecht, wie man meinen mag. Dafür gibt es ja Gypsy Chimp. Dank seinem Beitrag werde ich heute leiden müssen. Mich wird mein schlechtes Ökologiegewissen plagen und ich werde mit einem unbedachten Post meine Reputation auf Facebook ankratzen. Im Moment gehe ich aber sichtlich verärgert im Zimmer auf und ab. Meine Frau schaut mich dabei besorgt an. Mitfühlend meint sie: „Das ist doch nicht so schlimm, dass du dir solche Filme anschaust.“ In Gedanken bin ich bei Gypsy Chimps Text und reagiere irritiert: „Was für Filme?“, frage ich. „Na, so Sado-Maso-Zeug halt.“ Meine Frau versucht ihr Grinsen zu unterdrücken. Sie liebt es mich zu provozieren. „Ich schaue keine Sado-Maso-Filme“, erwidere ich empört.
„Ich lese Gypsy Chimp und das kann manchmal auch weh tun, ist aber wesentlich anspruchsvoller. Außerdem geht es da nicht um Sex.“
Kurz schildere ich meiner Frau, was mich bewegt und sie lässt mich an ihrer Weisheit teilhaben.
„Der Text von Gypsy Chimp hat dich provoziert. Das ist doch gut. Und Greta Thunberg provoziert die Motorradgemeinde. Das ist noch besser.“
Meine Gattin hat wieder einmal recht. Ich bin nicht immer einer Meinung mit Gypsy Chimp. Aber seine Texte regen mich zum Denken an. Vor allem wenn der Autor zur Höchstform aufläuft. Dann zwingt er mich, mein Weltbild in Frage zu stellen oder es zu begründen. In der Regel ist beides ein intellektuelles Vergnügen. Ausser halt, wenn ich wie jetzt ein schlechtes Gewissen bekomme.

Seine Texte regen zum Denken an.
An diesem Punkt nun mache ich den entscheidenen Fehler. Ich schreibe eine Reaktion zu seinem Beitrag. Das mache ich, ohne eine alte chinesische Sozial-Media-Weisheit zu beherzigen:
Wenn du was zu sagen hast, dann poste es morgen.
Ich teile ihm nicht nur die kluge Erkenntnis meiner Frau mit. Ich bringe auch mein Unbehagen zum Ausdruck. Letzteres hätte ich nicht machen sollen. Denn jetzt bekomme ich es mit Meister Linneweber zu tun. Und wer dieses Interview (2) mit ihm gelesen hat, der weiss, dass Linneweber ebenfalls zu den intellektuellen Schwergewichten bei den Royal Enfield Buddys gehört. Keiner mit dem man sich mal so eben anlegen sollte. Wer sich mit ihm auf ein Wortduell einlässt, muss schneller schiessen können, als sein Schatten. Vor allem präziser. Während ich mich in meinen Argumenten verheddere, spielt in meinem Hinterkopf die Filmmusik zu Sergio Leones Western „Für eine Handvoll Doller“. Leider sehe ich dabei mit meinem Smartphone nicht einmal annähernd so cool wie Clint Eastwood aus. Meine Frau berührt mich leicht an der Schulter. Für den grossen Facebook-Showdown der nun kommen wird, lädt sie mich zu einem Strandspaziergang ein.

Facebook-Showdown
Fortsetzung:
Etappe 7: Zur Ökospassbremse werden – Greta-Thunberberg-Meme – Omas, Umweltsäue & schwanzlose Lurche

Links
(2) LUSTIG ODER NICHT? THUNBERG IN MOTORRADFOREN
(3) „DIE BULLET 500 IST EINE CHARAKTERSCHULE.“ BEGEGNUNG MIT LINNE

REISEETAPPE 1: EIN UNFALL, ZWEI FRAUEN UND EIN ÜBERFORDERTER MANN
REISEETAPPE 2: DIE GEISTERSTADT, KEINE MUMIFIZIERTE MUTTER IM SCHAUKELSTUHL UND EIN GUZZIFAHRENDER SCHOSSHUND
REISEETAPPE 3: DIE AMPUTATION DES GROSSZEHS, ORIENTIERUNGSLOS INS ZILLERTAL UND EIN SCHLÜPFRIGES LIED ZUM ABENDESSEN
Reiseetappe 4: GUT DASS WIR KEINE JÄGER UND SAMMLER SIND, GOD SAVE THE QUEEN UND DER FISCHER VON DER TRAURIGEN GESTALT
Reiseetappe 5: Der Kampf gegen meine Dämonen, Regen und Kälte, der Chauvinist vom Gardasee hat Glück

“Naturtrüb” – herrlich!
Savona habe ich auch als ziemlich ernüchternd in Erinnerung.
Kleine Anmerkung: Der Chimp mit dem Geschick für knackige Themen heißt “Gypsy” mit Vornamen.
Vielen Dank für deine Rückmeldung und den Hinweis. Da hat mir doch meine Legasthenie ein Bein gestellt.
Herzliche Grüsse
Thomas
Hallo Thomas, (soviel Zeit muss sein…)
Du erlebst ja Sachen, fein, fein.
(diese beschriebenen Jugenderinnerungen….. könnten glatt von mir sein)
Ihr beide habt da einen schönen Mutausbruch gehabt. 🙂 )))
Ich mag sehr gerne morbide Orte, verlassene Gegenden, Savona scheint doch etwas für mich zu sein.
Oh der Campingplatz….. sehr oldschool, gefällt mir.
Sowas passt zu mir.
Gut im Somer ist es dort sicher einladender in Savona.
Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte, würde mir eine kleine Tourenkarte sehr gefallen zum nachvollziehen eurer Route.
Weiter so, lieber Thomas, wie war das noch ?
Nur eins rettet uns, einen Schritt vor den anderen,
bleibt neugierig.
Lg Edi
Es ist schön von dir zu lesen, lieber Edi. Natürlich hast du recht. Im Sommer wird auch Camping Charly einen besseren Eindruck machen.
Das mit der Karte ist eine gute Idee. Den Gefallen tue ich dir gerne.
Im nächsten Jahr sollten wir ein Fotoshooting mit deinem Gespann in morbider Umgebung ins Auge fassen.
Herzliche Grüsse
Thomas
Mal wieder ein herrlicher Text, Thomas, den ich mir in aller Ruhe bei einer Tasse Kaffee gönne und bei dem ich mich an Deiner Wortspielerei erfreue.
Und sei nicht traurig: Jeder hat seine Aufgabe, keiner muss in allen Bereichen die Welt retten! Du bist der, der Anderen mit seinen Texten und Bildern Freude bereitet und positiv konditioniert, damit diese dann eine gute Voraussetzung haben, die Welt zu retten! Du bist also sozusagen die Rettungsunterlage.
Ach, dass ist ja eine schöne Rückmeldung, liebe Ulla. Und mein Gewissen hast du nun auch ein wenig beruhigt. Ich freue mich sehr, dass dir die Texte gefallen
Herzliche Grüsse
Thomas
NATURTRÜB UND WER LEBT STÖRT!
Thomas du hast mich mal wieder schön einkassiert, denn als naturtrüb bezeichne ich mich gerne selber wenn ich mich schon mal in Sentimentalitäten verliere. hahahaha.
Ich liebe deinen Reisebericht und deine abschweifenden Gedanken, sowas auf dem Niveau bekommen nicht viele hin, ich kenne sonst nur noch einen dessen Reisetagebücher ich genau so gerne lese wie deine. Silencer, yeah!
Amsterdam, ich liebe diesen Ort. Ich sollte viel öfter dort sein. Einer meiner größten Helden hat dort sein viel zu schnelles Leben
gelebt. Herman Brood. Die roten Grachten und Gassen mit ihrer Ausstrahlung verwirren mich. Einerseits finde ich die Gegend ziemlich traurig andererseits irgendwie auch faszinierend. Bei einem meiner frühen Besuche schlenderte ich an einem Abend durchs Viertel und beobachtete die Passanten sehr genau, auf einmal wurde meine Aufmerksamkeit auf eine überirdische Schönheit gelenkt, sie lächelte mich an und nahm mich mit ihrem Blick gefangen, sie sah mir so tief in die Augen und es wirkte auf mich als sähe sie meine Seele, ich war wie vom Blitz getroffen und mein Herz schlug wie verrückt, ich merkte daß sich diese Traumfrau soeben in mich verliebt hat, bis mir klar wurde daß ich in ein Schaufenster sah. Mamamia! Ich senkte verdattert meinen Blick und stolperte weiter. Das war knapp. hahahahaha! Seit dem meide ich das Revier wenn ich in der Stadt bin. hahahaha!
Was ich nicht meide ist diese wunderschöne kleine Bucht direkt neben Savona. Du liegst auf feinem Kies hinter dir eine steile Felswand und vor dir eine kleine Insel und das Meer. Ein Traum!
Wer lebt stört! Jeder von uns ist Teil des Problems was die Umweltverschmutzung angeht. Wir werden den Planeten nicht retten! Welche Arroganz steckt eigentlich hinter dieser Idee?
Wir Menschen können uns nicht mal selber retten, es wird böse mit uns enden und das is nix neues. Oder? Ich habe mich schon sehr früh dafür entschieden innerhalb meiner Möglichkeiten schonend mit meiner Welt umzugehen. Aber das mache ich alleine nur für mich. Reiner Egoismus, sozusagen. Doch es nutzt alles nix! Die Schlaumeier unter uns kommen gerne mit Ablenkungsmanöver daher, zeigen auf irgendwelche Symptome und versuchen oftmals die Menschen zu spalten. Dabei ist es ganz einfach, wir sind viel zu viele und ein paar wenige von uns haben viel zu viel PUNKT und AUSRUFEZEICHEN
Lieber Thomas, liebe Leser ich lasse mich nicht verrückt machen und bleibe ganz gelassen denn ich weiß wir werden alle sterben.
Thomas danke für das teilen deiner Erlebnisse
LIEBEn Gruß vom rüpel
Ich freue mich von dir zu lesen, lieber Rudi Rüpel. Und besonders freue ich mich, dass dir der Text gefällt.
Ja, Amsterdam ist ein wunderbarer Ort. Schön, dass auch du nur knapp an den überirdischen Schönheiten dort vorbeigeschrammt bist. 😀
Natürlich ist der Vorsatz die Welt zu retten von Hybris beseelt und dein Fatalismus hat seine Berechtigung. Ich finde es aber gut und wichtig, wenn sich die Menschen trotzdem engagieren. Wer weiss, vielleicht ist der Homo sapiens doch keine evolutionäre Einbahnstrasse, die vorschnell aussterben wird. Vielleicht kriegen wir Menschen ja noch die Kurve.
Du machst es schon richtig, wenn du dich im kleinen um eine umweltschonende Lebensweise bemühst. Da möchte ich für mich auch noch mehr Unternehmen.
Herzliche Grüsse
Thomas
PS. Silencer lese ich auch gerne 😉