Enfield-Adrenalin

Royal Enfield: Continental GT 650 Twin EFI

Was macht der routinierte Mechaniker, wenn ein Motorradblogger seine Maschine zur Inspektion bringt? Einer von den Typen, die mit der Kamera durch die Werkstatt tanzen und ständig mit irgendwelchen Fragen von der Arbeit ablenken. Ganz einfach, er gibt ihm ein cooles Bike und sagt, mach dir zwei schöne Stunden.

Bei JB Töffhandel ist heute viel los. Der Mechaniker hat alle Hände voll zu tun und ist froh, dass er sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren kann. Ich nehme die Schlüssel entgegen und beäuge skeptisch die Rennsemmel aus dem Hause Royal Enfield. Es ist ein sportlicher Zweizylinder und ich bin so etwas noch nie gefahren. Etwas unbeholfen steige ich auf und meine Füsse suchen im Leeren nach den Fussrasten. Die liegen ziemlich weit hinten. Ich finde sie und sitzte mit nach vorne gebeugter Körperhaltung. Dabei fühle ich mich wie der sprichwörtliche Affe auf dem Schleifstein. Für mich als Tourenfahrer ist das alles sehr gewöhnungsbedürftig.

Gewöhnungsbedürftig: Sich fühlen, wie ein Affe auf dem Schleifstein.

Aber ich gewöhne mich schnell und es ist gar nicht mal so unbequem. Ich weiss nicht, ob ich mit so einem Motorrad eine lange Tagestour machen würde, aber dafür ist diese Maschine ja auch nicht da. Der Zweck der Enfield Rennsemmel ist die Adrenalinausschüttung und das kann dieses Motorrad vortrefflich. Meine Hand dreht am Gasgriff und ich spüre sofort die Kraft von 648 Kubikzentimetern und 47 PS.

Continental:

Im Vergleich zu meinem Motorrad geht das Ding ab wie ein Zäpfchen. Hatte ich bei der Jungfernfahrt der Classic ein breites Grinsen im Gesicht, sind es hier leuchtende Augen. Im Gegensatz zu meinem laut vibrierenden Einzylinder, läuft die Twin ruhig. Der Motor lullt mich mit seinem Surren ein. Er spricht zu mir und flüstert: „Gib Gas, mehr Gas.“ Ich folge der hypnotischen Suggestion und fliege über die Landstrasse. Einzig begrenzt von der Strassenverkehrsordnung und dem innigen Wunsch heute nicht an einem Baum zu sterben.

Einflüsterung des Motors: Gib Gas!

So leicht ich auch dahinsause, so sehr muss ich mich mental anstrengen. Es fällt mir schwer die Vernunft walten zu lassen. Das Motorrad, das mir diese Willensstärke abverlangt, wirkt neu und tatsächlich hat sie den modernsten Motor, den Royal Enfield je gebaut hat. Dennoch ist die Continental GT 650 Twin EFI voller Nostalgie. Sie ist ein Klassiker des Typus Café Racer, jene sportlich umgebauten Motorräder aus den 1960er Jahren. Es waren die Maschinen einer aufbegehrenden Jugend. Sie trafen sich damals in den Cafés der Vorstädte und machten von dort aus die Gegend unsicher.

Café Racer: Maschinen einer aufbegehrenden Jugend

Diese Aura der Rebellion gegen Vernunft und Gesetz umgibt das Motorrad noch heute. Das fasziniert mich sehr und ich weiss einfach nicht, ob ich den Einflüsterungen des Motors noch lange widerstanden hätte. Neben dieser Problematik hat die Continental ein echtes Manko. Diese Rennsemmel hat mir den Spass an meinem geliebten Einzylinder versemmelt. Nur für einen kleinen Moment, aber immerhin. Ich spüre Wehmut als ich die Maschine nach zwei Stunden wieder abgebe.

Der Mechaniker entschwindet mit dem Café Raser: Wehmut

Seufzend steige ich auf mein Motorrad und suche die Fussrasten. Irgendwie liegen die ziemlich weit vorne. Ich sitze merkwürdig aufrecht und wenn ich am Gasgriff drehe passiert nichts Wesentliches. Mein Körper verlangt nach Adrenalin, doch die Royal Enfield Classic suggeriert mir Gemütlichkeit. Ich überlege für einen Moment aufzubegehren, gegen meine eigene Spiessigkeit und Behäbigkeit zu rebellieren. Vielleicht sollte ich etwas ganz Subversives machen und die Dämpfungsgummis an den Kühlrippen entfernen. Aber spätestens beim nächsten Vorführen müsste ich sie wieder anbringen und warum soll ich meine Mitmenschen mit einem lauteren Motor nerven. Ich könnte auch irgendeinen Edelsprit tanken um aus dem Motor etwas mehr heraus zu kitzeln. Aber da meint der Mechaniker, dass das vergebene Liebesmüh ist. Also arrangiere ich mich mit dem Gedanken ein Spiesser zu sein und geniesse es, behäbig der untergehenden Sonne entgegen zu brummen. Wie hat es rudi rüpel so treffend zitiert: «denn heute ist man schon ein Rebell mit einem drei Jahre alten iPhone Modell!» Wenigstens da gelingt mir die Rebellion!

Twin mit Tradition: Royal Enfield Interceptor 736
Zwischen 1960 und 1970 produzierte Royal Enfield Parallel-Twins. Die Interceptor wurde als Indian Chief in die USA exportiert.

Links

Anmerkung

Der Motorradblogger Gypsy Chimp hat mit einem scharfsinnigen Text auf diesen Beitrag reagiert. Er zeigt dort auf, dass die Royal Enfield Bullet, mehr noch als die Continental GT, die Rebellion im Benzin hat. 

Sehr lesenswert: Wenn schon Rebellion, dann Bullet!

Comments

  1. «…wenn ich am Gasgriff drehe passiert nichts Wesentliches». Sehr schön geschrieben! Ist genauso auf ein Himalayan. Ich liebäugele schon lange mit einem Interceptor, aber, so schön sie ist, kann ich mit ihr keine unbefestigte Strassen nehmen, und sie hat nicht diese Eintopf klang oder gefühl. Bleib bei deiner Bullet, sie ist auch sehr schön! Spiessig find ich nichts von Enfield. Die echten Spiesser sind die, die neuen BMWs oder Hondas fahren. Da gibt es keine Probleme, keine echte Herausforderungen. Die machen alles so perfekt, dass es kein Abenteuer mehr ist. Die kommen immer an, vibrieren nicht, und fahren so schnell, das man nichts sehen kann. Und wenn du sowas fährst, dann findest du an 47ps nichts aufregendes mehr!

    • So spannend die Erfahrung auch war, ich bleib bei meiner Royal Enfield. Aber falls ich nochmals auf grosse Tour gehe und eine Reise abseits des Asphalts plane, wird die Himalayan das Motorrad meiner Wahl.

      Stimmt so richtig spiessig kann man mit einer Enfield gar nicht sein. 😀

      Herzliche Grüsse
      Thomas

    • »Die echten Spiesser sind die, die neuen BMWs oder Hondas fahren. Da gibt es keine Probleme, keine echte Herausforderungen.«
      Na ja… Die diversen Rückrufaktionen gesehen? Sowohl bei BMW wie auch bei Honda? Bei Honda wurde z.B. die CRF 1000 L zurückgerufen weil der Hauptständer abfallen kann. Außer bei den Maschinen die ohne Hauptständer bestellt wurden – natürlich. Der Hauptständer war aufpreispflichtig: 214 Euro Aufpreis für ein Teil was Sorgen bereiten kann. Nachrüst-Produkte von anderen Anbieter waren von dem Problem nicht betroffen.
      Oder mit anderen Worten: Man kann sich die Probleme auch ab Werk montieren lassen (wenn man will). 😀

  2. t´schuldigung, aber die größten Spießer

    sind diejenigen, die andere als Spießer bezeichnen und dies an Äußerlichkeiten fest machen!
    Spießigkeit hat garnix mit dem Gartenzwerg im Vorgarten zu tun, sondern findet in den Köpfen statt. Wer darüber nachdenkt was wohl die anderen denken befindet sich auf dem gleichem Niveau wie der Zwerg. Ich weiß wovon ich berichte, denn in meinem kleinen Gehirn befindet sich in der hintersten Ecke ein Schränkchen mit ganz vielen Schubladen, vollgepackt mit Vorurteilen und Dingen die eine Ordnung und Kathegorien brauchen. Tja und manchmal ist das Schränkchen so voll daß nix mehr rein passt, dann wird es mal wieder Zeit radikal auzumisten und der ganze Driss fliegt auf den Müll.
    Ich bin zwar auch nur ein Spießer aber die Freiheit nehm ich mir.
    LIEBEn Gruß
    rudi rüpel

  3. Lieber X_FISH, lieber rudi rüpel

    Erst einmal herzlichen Dank für eure Beiträge. Sie waren heute Anlass für lange Diskussionen über die Frage, was denn genau spießig ist.

    Mein Sohn findet ganz klar, dass ich ein Spießer bin: geistig nicht ganz so flexibel, wie er es sich wünschen würde. Da tut mir doch rudi rüpels Satz gut: «Ich bin zwar auch nur ein Spießer aber die Freiheit nehme ich mir.» Dem schliesse ich mich gerne an. Denn mein Sohn hat nicht ganz unrecht. Wie rudi rüpel es bei sich feststellt, so gibt auch in meinem Kopf Vorurteile und festgefahrene Kategorien. Da freue ich mich über jeden kognitiven Konflikt, der mich dazu zwingt dort etwas aufzuräumen.

    Griesgram999s Beitrag «Mopped fahren mit Autoführerschein || Finde ich gut» war so etwas, dass festgefahren Positionen in meinem Hirn in Frage gestellt hat.

    https://griesgram999.wordpress.com/2019/06/20/mopped-fahren-mit-autofuehrerschein-finde-ich-gut/

    Ich gebe X_FISH recht, dass neue BMWs und Hondas die Aura des spießigen umgibt. Sie passen gut vor perfekt gepflegte Vorgärten und es hat etwas ironisches, dass diese Motorräder manchmal gar nicht so perfekt sind. X_FISH schreibt hier von den diversen Rückrufaktionen. Das sich unter der glänzenden Fassade dieser gutbürgerlichen Fahrzeuge Abgründe auftun können hat schon der amerikanische Verbraucherschutzanwalt Ralph Nader gewusst. Über seinen Kampf gegen die US-Autoindustrie gibt es ein spannendes WDR-Zeitzeichen vom 27.03.2019:

    https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/index.html#

    Aber auch wenn diese Fahrzeuge spießig wirken und sie für eine ausgeprägte Konformität und Bequemlichkeit stehen, so gibt doch Leute die ganz und gar nicht so konform sind, wie die Motorräder, die sie fahren.

    Das sich auch hinter spießigen Vorgärten Abgründe auftun können beweist die eindrückliche Dokumentation „Im Keller“:

    https://m.youtube.com/watch?v=SSdJ6h-QEEU

    Ich hatte, als mein Sohn geboren wurde und ich mich für ein spießiges Leben entschied, zwei Gartenzwerge gekauft und die als Mahnmal für mein neues Leben in den Garten gestellt. Die Zwerge entwickelten dann in unserer Fantasie ein ganz und gar nicht so spießiges Eigenleben. In den Geschichten, die ich meinem Sohn erzählt hatte waren sie wahlweise verwunschene Märchengestalten, Außerirdische, verzauberte Superhelden oder geniale Geheimagenten. Je nach dem, was mein Sohn gerade cool fand.

    Nochmals vielen Dank für die spannenden Diskussionen, die ihr heute mit euren Beiträgen ausgelöst habt.

    Herzlich
    Thomas

    PS: eastgoeseast schreibt hier, dass die Enfield gar nicht so spießig ist. Mein Sohn hält meine Maschine zwar für ein Altherrenfahrzeug, aber er findet auch, dass das Motorrad nicht spießig ist. Zumindest nicht so spießig wie der Fahrer.

    • Die diversen »GSsen« sehe ich eher aufgrund der Verkaufszahlen als die einspurige Variante des VW Golf. Es sind so viele davon verkauft worden das eine GS sowohl von Weltenbummlern (z.B. »OnHerBike« http://onherbike.com/ ) über hin zu Tagestourern (da zähle ich mich dazu) bis zu Eisdielentourern bewegt werden. So wie beim Golf: Vom Urlaubsgefährt mit vielen, vielen Aufklebern von Campingplätzen und Mautvignetten in der Windschutzscheibe oder am Heck und etlichen Blessuren von Dellen über Schrammen und natürlich auch dem Sand vom letzten Urlaub unter den Fußmatten zum vielseitigen Nutztier als Alltagsgefährt oder zum reinen »show and shine«-Gefährt mit glänzendem Lack, polierten Felgen und sicherem Garagenplatz wenn es mal regnen sollte.

      Wenn letztgenanntes der Beleg für »Spießigkeit« sein sollte, dann müssten es die anderen Nutzungsvarianten eigentlich ausgleichen können, oder?

      Ähnliches Potenzial sehe ich bei der Enfield und anderen Retrobike-Vertretern (z.B. Guzzi V7, Triumph Bonneville) oder auch dem Nieschenmotorrad mit Diesel (Sommer oder eine alte Taurus). Die blanken Verkaufszahlen erklären natürlich das bei ähnlicher Streuung des Einsatzverhaltens der Besitzer weniger Bullets, Classics, Interceptors, Continentals und Himalayans an den jeweiligen Orten der Nutzung anzutreffen sein werden. Aber: Von der Weltenbummler-Enfield bis zum häufiger polierten als gefahrenen Gefährt wird auch hier alles vertreten sein.

      Ist das übrigens nicht eigentlich sogar bei jedem Fahrzeug so? Und was wäre verkehrt daran es so zu tun? Ich glaube es ist gut so das man mit den Motorrädern genau das machen kann was man machen will und es einen glücklich macht.

      • Vielen Dank lieber X_FISH für diesen Beitrag. Ja, das stimmt. Letztendlich ist es auch die Nutzung die einem Fahrzeug die Aura des spiessigen verleiht. Und ob spiessig oder nicht, Hauptsache es macht einen glücklich.

        Das die Bullet per se die Rebellion im Blut hat, beweist Gypsy Chimp in diesem Text sehr eindrücklich:

        https://motorradblog.de/wenn-schon-rebellion-dann-bullet/

        Danke auch für den Tipp für die Seite On Her Bike. Das ist eine beeindruckende Dame, die beeindruckende Touren macht.

        Herzliche Grüsse
        Thomas

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