Kaminabende mit Ulla Kugler

Es ist wunderbar, wenn man abends gemütlich am Kamin sitzt und von einer attraktiven Frau bestens unterhalten wird.

Die letzten Abende habe ich so mit Ulla Kugler verbracht. Dabei bin ich der Frau persönlich nie begegnet.

Meine Beziehung zu Ulla ist eine dieser merkwürdigen sozialen Konstrukte. Ein Kontakt wie ihn nur das Internetzeitalter hervorbringen kann. Ich kenne Ulla Kugler aus diversen Facebook-Motorradgruppen. Dort lese ich gerne ihre Beiträge.  Besonders aber freue ich mich, wenn sie einen Text von mir kommentiert. Ein wenig fühlt es sich an, als sei Ulla eine gute Bekannte von mir und doch ist sie das nicht. Sie ist eine soziale Erfahrung aus Bits und Byts. Voll digital und auf diese Weise ein wenig irreal.

Nun, an den Kaminabenden hatte ich erstmals in der analogen Welt mit Ulla zu tun. So ganz ohne Facebook und Internet. Aber auch dort war es keine direkte Begegnung. Ich habe mir ein Buch von Ulla gekauft und das war eine gute Idee.

Ulla Kugler:
Voll digital und auf diese Weise ein wenig irreal

So habe ich, Dank dem Versandhändler, einiges über Ulla erfahren dürfen. Zum Beispiel, dass sie vor Jahren als freiberufliche Journalistin gearbeitet hat. Ein Umstand, der mir erklärt, warum sie so beneidenswert gut schreibt kann. Und dann habe ich erfahren, dass Ulla Rektorin einer Hauptschule war. Und das finde ich persönlich ganz toll. Nicht nur, weil ich selbst im pädagogischen Bereich tätig bin. Nein, als ehemaliger Hauptschüler weiss ich, dass dieser Job eine echte Herausforderung ist. Keine Arbeit für Weicheier. Da muss man richtig taff sein. Aber nicht nur das. Engagement, Beziehungsgestaltung und pädagogischer Sachverstand sind auch von Nöten. Bei mir waren es Hauptschullehrerinnen, denen ich viel zu verdanken habe. Unter anderem, dass ich trotz eines desolaten Schulsystems etwas lernen konnte. Diese Lehrerinnen sahen in mir nicht nur den Schulversager, was eine sehr wichtige Erfahrung für mich war. Und dass am Ende doch noch etwas aus mir geworden ist, ist auch ihr Verdienst. Aufgrund meiner sehr persönlichen Erfahrungen mit Hauptschullehrerinnen steht dieser Berufsstand bei mir ganz hoch im Ansehen.

Ehemaliger Hauptschüler:
Sehr persönliche Erfahrungen

So hat Ulla Kugler mit ihrer beruflichen Vita meine volle Sympathie und im Prinzip hätte sie auch ein schlechtes Buch schreiben können. Ich hätte es trotzdem gelesen und wahrscheinlich gut gefunden.

Ulla Kugler:
gutes Buch – gute Unterhaltung

Hat sie aber nicht. Ulla Kugler hat ein gutes Buch geschrieben und wie schon erwähnt: Bei der Lektüre habe ich mich bestens unterhalten. Das allerdings mit einer kleinen Einschränkung. Ulla schreibt eine sehr weibliche Sicht der Dinge und am Feierabend vertrage ich davon nicht mehr als drei Kapitel am Stück. Drei Kapitel sind eine gute Ulla-Dosis. Danach brauche ich dann wieder etwas männlicheres, zum Beispiel Musik von Richard Wagner oder einen alten Film mit Clint Eastwood. Letzteres, weil ich in der Tiefe meines Herzens immer noch ein Hauptschüler bin. Dirty Harry zum Beispiel ist ein perfektes Ulla-Kugler-Kontrastprogramm. Das hat auch schon damals bei meinen engagierten Hauptschullehrerinnen ganz prima geklappt. Umgekehrt muss man natürlich sagen, dass Ulla Kugler ein wunderbareres Kontrastprogramm zu Dirty Harry ist. Wenn man einen Spielfilm lang mit so einem reaktionären und zu Gewaltexzessen neigendem Arschloch verbracht hat, sehnt man sich nach weiteren Kapiteln von Ulla. Denn sie ist eine Autorin, die auch in den Niederungen einer Hauptschule nicht zu Dirty Harry geworden ist. Das merkt man daran, dass sie sehr einfühlsam und humorvoll schreibt. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten zwischen einem Dirty Harry Film und dem Buch von Ulla Kugler. Film und Buch basieren nämlich auf dem dramaturgischen Grundkonzept der Heldenreise. Diese Erzählweise hat sich seit je her bewährt. Sehr vereinfacht gesagt gibt es eine Heldin oder einen Helden, eine Herausforderung, der sich diese Figuren stellen müssen und am Ende eine äussere und innere Entwicklung, bei der sich Heldin oder Held verändern. Sie bewältigen oder scheitern an der Herausforderung und ihre Persönlichkeiten entwickeln sich dabei weiter. Die Spannung der Geschichte ergibt sich aus dem Umstand, wie gross die Herausforderung ist und wie sehr sich die Persönlichkeiten wandeln.

Leider hat sich ein Kumpel meine Dirty Harry Collection ausgeliehen:
Das Buch von Ulla Kugler wollte er als Kontrastprogramm nicht dazu haben. Das kommt halt davon, wenn man ein Gymnasium und nicht die Hauptschule besucht hat. Es fehlt dann einfach die Affinität zu guten Büchern.

Bei Dirty Harry läuft das dann so ab. Ein asozialer und gewaltbreiter Polizist muss einen Fall lösen, bei dem es um Leben und Tod geht. Das macht er auch und am Ende ist er immer noch ein asozialer und gewaltbreiter Polizist. Die Spannung ergibt sich auf Grund der Fallhöhe. Also aus dem, was der Held verlieren kann. Im Fall von Dirty Harry ist das seine Karriere oder im ungünstigen Fall sein Leben. Es geht hier also um alles, was ihm wichtig ist. So weit, so spannend. In Bezug auf die persönliche Heldenentwicklung sind die Dirty Harry Filme dann doch eher langweilig. Dirty Harry bleibt halt Dirty Harry.

Besser als Dirty Harry und auch ein gutes Ulla-Kugler-Kontrastprogramm:
In Gran Torino gibt es eine richtige Heldenentwicklung.

Das ist bei Ulla Kugler ein wenig anders. Da ist eine charmante Ex-Hauptschul-Rektorin, die es romantisch findet bei ihrem Prinzen auf dem Sozius zu sitzen. Und am Ende ist sie immer noch eine charmante Ex-Hauptschul-Rektorin. Sie pfeift aber auf die Sozius-Romantik, weil selberfahren viel geiler ist. Und so fährt sie dann, mit ihrem Prinzen im Schlepptau, der Sonne entgegen. Was auch romantisch ist. Ohne Zweifel geht da in Sachen Heldenentwicklung viel mehr ab. Aber spannungsmässig haut mich das noch nicht aus dem Chesterfield Sessel. Die Qualität des Buches liegt in den sehr persönlichen Schilderungen. Es macht Spass Ulla bei ihrem Weg vom Mofa zur Sozia und zur Selbstfahrerin zu begleiten. Zum Beispiel habe ich erfahren, dass wir uns schon exakt in der selben Unterführung aufs Maul gelegt haben. Sie mit ihrem Mofa, ich Jahre später mit meiner 45er BMW. So etwas verbindet. Man erfährt von Ullas Sündenfall: Das Liebäugeln mit einer dreirädrigen Harley! Und natürlich … ach, ich will nicht spoilern. Männer, die auf kluge und unterhaltsame Frauen stehen, lesen das Buch am besten selbst. Ich glaube bei Amazon kann man es auch in Kombination mit einer Dirty-Harry-DVD bestellen. Aber da bin ich mir jetzt nicht mehr ganz sicher. Als Schweizer bestelle ich bei Exlibris.

Kreuze im blutigen Sand ist ebenfalls ein geeignetes Ulla-Kugler-Kontrastprogramm:
Django war schon in meiner Hauptschulzeit eine wichtige Ergänzung zu den engagierten Hauptschullehrerinnen. Schliesslich braucht man als Junge auch männliche Identifikationsfiguren. Leider waren die Filme wegen des restriktiven Jugendschutzgesetz für mich tabu. An den Aushängen der Kinos habe ich mir in den 1970er Jahren die Nase plattgedrückt. Django war damals mehr Mythos als real erlebte Kinofigur.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zu Ullas geschmacklichen Entgleisung mit der dreirädrigen Harley.

Drei Räder an einem Motorrad sind nur bei einem Seitenwagen stilvoll. So habe ich bis jetzt gedacht. Aber ich habe falsch gedacht. Dank Ulla Kugler werde auch ich klüger. Als gute Hauptschullehrerinnen hat mich Ulla zu einem Akt des selbstgesteuerten Lernens animiert. Ich habe recherchiert und folgendes herausgefunden: Die dreirädrigen Harley-Davidsons haben einen legendären Vorfahren. Den Harley-Davidson-Servi-Car und der ist ein absoluter Klassiker. Das Ding wurde von 1932 bis 1973 ununterbrochen gebaut. Es ist mit 42 Jahren das Modell mit der längsten Produktionsdauer des Herstellers. Zu den Zielgruppen gehörten unter anderem Autowerkstätten. Die Mechaniker sind mit dem Dreirad los, um die Wagen der Kunden abzuholen. Das Trike konnte man dann mit einer Stange an das Auto ran hängen und so mit beiden Fahrzeugen zurückfahren. Bei der amerikanischen Polizei kamen die Dinger auch zum Einsatz. Dirty Harrys Vorgänger haben damit den Highway unsicher gemacht oder sicher – je nach Dienstauffassung. Und was einem Dirty Harry recht ist, kann einer Ulla Kugler doch nur billig sein. Wobei billig nicht der passende Begriff ist. Das CVO Tri Glide, ein Nachfahre des Servi-Car, ist mit 54‘755 Euro ein ziemlich teures Dreirad. Die FAZ schreibt in einem Artikel vom 07.10.2019 von der teuersten Maschine, die Harley Davidson anbietet. Ein ordentlicher Hauptschllehrerinnen-Rabatt wäre hier zwar fair, aber ich glaube all zu viel Fairness darf man da als Lehrperson nicht erwarten. Es ist also nicht verwunderlich, dass Ulla schlussendlich mit einer bescheidenen Suzuki an die große Harley Tradition anknüpft.

Harley-Davidson-Servi-Car:
Der Klassiker schlecht hin

Links

Wikipedia Eintrag zum Harley Davidson Servi-Car

Artikel zum Harley Davidson Servi-Car

FAZ-Artikel zur teuersten Harley Davidson

Ulla Kugler bei Amazon (ohne Dirty Harry)

Dirty Harry bei Amazon (ohne Ulla Kugler)

Ulla Kugler bei Exlibris

Bildzitate

B.Beier et al. (1994) die Chronik des Films, Chronik Verlag München

M.Duckworth (HRSC.) (2012) DAS MOTORRAD-BUCH, DK

Nachtrag: Weibliche vs männliche Sicht

Ulla Kugler schreibt, dass ihr Mann das Geschirr auf, statt in die Spülmaschine stellt. Und das er das Bierglas, statt es gleich abzuwaschen, erst einmal zwei Wochen in der Spüle einweicht. Sie bezeichnet das als «Marotte». Aber damit liegt sie falsch. Ich als Mann weiss, dass das ein ganz normales Verhalten ist. Viele Männer handeln so und ich auch. Dieses Handeln ist hormonell bedingt und wir Männer können nichts dafür. Unser neuronales Belohnungssystem setzt halt schon ein, wenn sich das Bierglas im Spülbecken befindet oder das Geschirr auf dem Automaten abgestellt wurde. Unser Gehirn suggeriert uns, dass wir allein durch den Akt des Wegräumens eine Grosstat vollbracht haben. Dass wir damit zu den Helden des Haushalts geworden sind. Glückshormone werden in unseren Gehirnen ausgeschüttet. Zumindest so lange, bis die Frauen zu meckern anfangen und uns alles verderben. Aber immerhin hat Ullas Mann Glück. Mit der Bezeichnung «Marotte» reagiert Ulla Kugler noch sehr wohlwollend auf unsere biologische Veranlagung. Ich kenne Frauen die neigen da zu viel harscheren Worten.

Haushaltstipp vom halbharten Mann:
Das Einweichen von Gläsern im Rahmen von 2 bis 4 Wochen ist voll OK. Limitierende Faktoren sind die Anzahl aller Gläser im Verhältnis zum Weinkonsum und natürlich die Belastbarkeit der Frau, mit der man Heim und Herd teilt. Ersteres ist mathematisch berechenbar. Letzteres muss im Feldversuch ermittelt werden.

Anmerkung

In der Regel bin ich abends am Kamin legerer gekleidet. Auf eine angemessene Abendgarderobe lege ich nur wert, wenn ich meine Zeit mit Frauen vom Schlag einer Ulla Kugler verbringe. Später dann, wenn ich es mir mit Dirty Harry gemütlich mache, lege ich die Fliege ab und lockere den Hemdkragen.

Comments

  1. Lieber Thomas, ganz herzlichen Dank für dieses Leseerlebnis! Du hast mir förmlich die Augen geöffnet, denn ein Vergleich, wie auch immer er ausfällt, mit Dirty Harry wäre mir nie in den Sinn gekommen! Es freut mich sehr, dass Du offenbar ein wenig Spaß bei der Sache hattest. Verblüfft hat mich, dass Du dieselbe Stelle in der Unterführung auch geküsst hast!
    Und besonders berührt war ich, als Du von Deiner Lehrerin berichtestest, die an Dich geglaubt hat. So hat sich vor einiger Zeit bei mir ein ehemaliger Schüler über Messanger gemeldet, der mich auf FB gefunden hat. Er hatte es in seinem jungen Leben sehr schwer gehabt. Er bedankte sich nun, dass ich ihm damals Mut gemacht habe. Etwas Schöneres kann man als «Lohn» doch gar nicht erhalten.
    Und ja, ein «Erstlingswerk» sei ja meist autobiografisch, habe ich gehört, mit allen Gefühlen, die man so in sich spürte. Frau eben! Aber wenn es mich demnächst wieder packt, setze ich mich hin und tüftle etwas Neues aus. Ideen sind schon in der Schublade vorhanden.
    Bis dahin wünsche ich uns beiden viel Spaß bei diversen Krätzchen!
    Ulla

    • Liebe Ulla

      Ja, dein Buch hat Spass gemacht. Ich freue mich schon auf die nächste Publikation von dir.

      Diese Bonner Unterführung hat es in sich. Wahrscheinlich sind wir nicht die einzigen Zweiradfahrer, die dort unerwünscht mit dem Boden in Berührung gekommen sind. Ich hatte damals meinen Zivieldienst gemacht und danach ein paar Jahre in Bonn gelebt. Zeit genug um mich und das Motorrad an genau diesem Ort flach zu legen. 😀

      Das ist sehr schön, dass sich dein ehemaliger Schüler bei dir gemeldet hat. Im Lehrerberuf bekommt man ja die langfristigen Auswirkungen seiner Arbeit nicht so mit und ein solches Feedback zu bekommen ist schon etwas ganz besonderes. Ich hätte gerne meinen Lehrerinnen eine Rückmeldung geben und mich bei ihnen bedankt. Aber leider konnte ich keine von ihnen ausfindig machen.

      Ich denke in den biographischen Bezügen und den Emotionen liegt der Reiz deines Buches. Am besten schreibt man ja von Dingen, zu denen man einen Bezug hat und die eigene Biographie ist da besonders prädestiniert.

      Ja, ich wünsche uns auch diverse Krätzchen – im Sinne der lustigen Geschichten. Obwohl ich im Kölner Umland aufgewachsen bin, musste ich den Begriff googlen und war zuerst irritiert, weil das Krätzchen als Mütze das Symbol für deutschen Untertanengeist ist. 😅

      Herzlich
      Thomas

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