Gefährliche Leidenschaft

Schon 30 km/h können auf einem Motorrad tödlich sein – trotz Sturzhelm und Schutzkleidung. (1)

Beinhaus: Schädelwand
Beinhaus: Fragiles Leben

Ich stehe in einem alten Schweizer Beinhaus, einem jener Einrichtungen in den die Gebeine vieler Verstorbener platzsparend zur letzten Ruhe aufgeschichtet sind. Hunderte Schädel scheinen mich anzublicken und mir wird bewusst wie endlich das irdische Dasein ist. Die Schädel erzählen davon wie fragile das Leben sein kann. Sie sagen mir, dass es nicht viel braucht, um der menschlichen Existenz ein Ende zu setzen. Eine Erschütterung des Gehirns reicht und ein ganzes Universum von Gefühlen und Gedanken werden durch die entstehende Schwellung regelrecht zerquetscht. Zerdrückt in einem Schädel, der nicht viel Raum lässt. Ich denke daran, dass ich in zwei Wochen mit einer Royal-Enfield mein Leben unsicher machen werde. Dabei beunruhigt mich, dass ich seit vielen Jahren nicht mehr im Sattel war. Aber auch wenn ich davon absehe: Krafträder sind selbst für geübte Menschen eine gefährliche Leidenschaft. Im Vibrieren des Motors verdichten sich die Unsicherheiten des Lebens. Sie nehmen eine existenziell bedrohliche Form an, sobald die beiden Räder, nur von Kreisel- und Fliehkräften gehalten in ein leicht zu störendes Gleichgewicht finden. Das was die Fahrenden dann noch am Leben und bei Gesundheit hält, sind ihre Aufmerksamkeit, das mentale und körperliche Können, die Erfahrung und die Risikokompetenz. Es ist aber eine Illusion zu glauben, durch diese Fähigkeiten Herrin oder Herr des eigenen Schicksals zu sein. Etwas weniger als Hälfte aller Motorradunfälle mit Personenschäden sind nicht selbst verschuldet. (2) Auch wenn man noch so vorausschauend fährt, kann es einen erwischen.

Beinhaus: Schädel
Schädel-Hirntrauma: Das Gehirn vom eignen Schädel zerquetscht

In diesen Momenten schützen nur noch Helm und Kleidung. Deshalb sollte die Ausrüstung mit Bedacht gewählt werden. Hochwertiges Motorradequipment bewahrt Leib und Leben, ist aber auch ziemlich teuer.

Wer da gut beraten werden will und günstig einkaufen möchte, ist bei Herrn Büll in Kirchberg SG bestens aufgehoben. Obwohl, bei meiner ersten Begegnung mit Herrn Büll hatte ich da noch so meine Zweifel. Vor mir stand ein eher kleiner Mann, der selbst in seinem Laden das Taschenmesser am Gürtel und die Schuhe mit den Stahlkappen trägt. Herr Büll ist der Prototyp des wilden Bikers: Die verwaschene Jeans, der schwere Gurt und ein ausgebleichtes T-Shirt mit Totenkopf-Motiv. Im verschmitzten Gesicht ein verwegenes Bärtchen. Herr Büll gehört zu meiner Generation, aber in seinem Outfit wirkt er wie aus der Zeit gefallen. Jede Pore seines Körpers verströmt Biker-Romantik. Nichts an ihm würde darauf hindeuten, dass er in bunter Sicherheitskleidung den Kickstarter herunter tritt. Tut er auch nicht. Herr Büll sagt dazu: „Wenn es mich erwischt, bin ich selber schuld.“ Er weiss welches Risiko er eingeht und Herr Büll warnt jede und jeden eindringlich davor, dasselbe Risiko auf sich zu nehmen. Herr Büll verkauft seine Motorradkleidung nicht in erster Linie um Geld zu verdienen. Bei den guten Preisen, die er seiner Kundschaft macht, wäre das auch absurd. Sein Verdienst wird sich in sehr engen Grenzen halten. Herr Büll verkauft Motorradkleidung aus einer Passion heraus. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht eine gefährliche, in eine berechenbare Leidenschaft zu verwandeln. Kein Kunde von ihm hat jemals einen Rollstuhl gebraucht. Stolz präsentiert er Dankesschreiben von Frauen und Männern die Kraft seiner Beratung und Einkleidung noch am Leben sind. Seine Kunden sind sowohl die einfachen Büezer, als auch Akademikerinnen. Ärzte sind mit dabei. Menschen also, denen besonders klar ist, dass zu ihrem lebensgefährlichen Hobby ein guter Schutz gehört.

Fensterscheibe mit Logo Moto leder Büll
Büll-Moto-Leder: Dankesschreiben der Überlebenden

Geht man in einen normalen Laden ist in der Regel der Kunde König und am Ende ein König, mit teuren und vielleicht suboptimalen Kleidern. Bei Herrn Büll ist das anders. In seinem Laden ist er der König und seine Kunden ersuchen bei ihm um eine Audienz. Dafür finden sie in seinem riesigen Reich die optimale Ausrüstung. Er herrscht über eine grosse Sammlungen an neuen und gebrauchten Motorradkleidern, in allen erdenklichen Grössen. Erlangt man die Gnade des Königs und das tun alle, die sich in seinem Reich höflich und anständig benehmen, wird man hochkompetent beraten. In der Regel macht man dann das Schnäppchen seines Lebens. Neigt man aber zu Arroganz oder versucht einen unverschämt niedrigen Preis herauszuschlagen, empfiehlt sich eine alte Lebensweisheit: Komme niemals einem eingefleischten Biker krumm. Die Jungs können ziemlich ungemütlich werden. (3) Mit seinen Biker-Klamotten trägt Herr Büll nicht nur die Insignien eines kompromisslosen Lebens, er lebt es auch. Den Leuten, die er nicht mag, verkauft er nichts. Auch eilige Kunden sollten seinen Laden meiden. Herr Büll nimmt sich viel Zeit für seine Beratungen und ist dann voll und ganz für die Ratsuchenden da. Alle anderen müssen warten. Herr Büll stellt in solchen Situationen ein Schild vor die Türe, auf dem man das nachlesen kann. Am besten macht man mit Herrn Büll einen Termin aus.

Moto Leder Büll: Schild am Eingang: Sorry Laden überfüllt. Wartezeit ...
Herr Büll nimmt sich viel Zeit für seine Beratungen

Ich hatte einen solchen Termin und wollte von ihm eine gute, günstige und klassische Ausrüstung. Etwas was zu einem Royal-Enfield-Fahrer passt. Dazu hatte ich das, was ich noch besass mitgebracht. Herr Büll wollte die Sachen begutachten. Dazu kam es aber erst später. Im büllschen Königreich wird nach den Regeln des Herrschers gespielt und diese Regeln besagen, dass erst einmal die Sicherheitsschulung auf dem Programm steht. Her Büll bereitet auf seinem Ladentisch Knochenschrauben, zerfetzte Motorradkleider und zerborstene Helme aus. Dieses Sammelsurium garniert er mit besonders ekligen Fotos von Motorradverletzungen. Wenn sich seine Kunden nun ein Bild von den physikalischen Kräften gemacht haben, denen sie sich aussetzen, können sie selbst entscheiden welchen Verkrüpplungsgrad sie bei einem Unfall in Kauf nehmen wollen. Am liebsten hat Herr Büll, wenn die Kunden auf Nummer sicher gehen und in diesem Zusammenhang redet er gleich mal Tachles. Bei Helm und Rückschutz wird nicht gespart. Vieles kann die moderne Chirurgie reparieren, nur bei den Verletzungen des Schädels und der Wirbelsäule wird es schwierig. Wer sich da knausrig zeigt, den bestraft das Leben. Bei den Kleidungsstücken, die die anderen Körperteile schützen kann er in jedem Fall was Günstiges finden. Aber auch hier empfiehlt Herr Büll abriebfeste Stoffe mit Protektoren und Polsterungen.

Helm mit geborstenem Kinnschutz
Zerborstene Helme: Sich ein Bild von den physikalischen Kräften machen

Von der alten englischen Wachsjacke, die ich eigentlich wollte, nehme ich Abstand. Ich bleibe bei meinem Goretxanzug, den ich mitgebracht habe und den Herr Büll für gut befunden hat. Herr Büll freut sich, dass er mir nichts Unsicheres verkauft. Später werde ich bei ihm einen guten Lederkombi erstehen. Aber das hat Zeit. Vorerst brauche ich noch einen neuen Helm. Ich schwöre auf Schuberth, Herr Büll auf Shoe. Aber auch aus dem Helmkauf wird heute nichts. Herr Büll empfiehlt eine längere Probefahrt, denn ob ein Helm passt, offenbart sich nicht beim Anprobieren im Laden. Nach der Helm-Diskussion schweift Herr Büll ab. Herr Büll erzählt gern und viel. Das darf er auch, denn Herr Büll hat was zu sagen. Er berichtet von den Patenschaften für Arme und Waisenkinder, die er zusammen mit seiner Frau vermittelt. Seine Frau stammt von den Philippinen und auch dort hat sich Herr Büll zum Ziel gesetzt, die Welt etwas besser zu machen. Zurück zum Grund meines Besuches kommen wir rasch. Die Frage des Rückenschutzes muss geklärt werden. Mein alter Protektor ist noch gut bestätigt Herr Büll. Auch hier wird er mit mir kein Geschäft machen. Am Ende eines langen Verkaufsgesprächs verlasse ich den Laden einzig mit einer gelben Leuchtweste. Gesehen werden ist auf der Strasse überlebenswichtig, ermahnt mich Herr Büll. Für das kurzfristige Überleben seines Ladengeschäfts hat er allerdings wenig getan. Langfristig schon, denn das Konzept eines Menschen, der es gut mit anderen meint, überzeugt mich. Herr Büll hat in mir einen Stammkunden gefunden.

Rückenprotektoren
Rückenschutz: Wer darauf verzichtet den bestraft das Leben

Quellen und Hinweise

  • (1) Bockelmann (1982) Auge – Brille – Auto
  • (2) Bild: Das blutige Bikerwochenende
  • (3) Hinweis für die patriarchalisch sozialisierten Lesenden: Auch Bikerinnen können anders, wenn man ihnen doof kommt.

Kontakt zu Herrn Büll

www.buell-moto-leder.ch

Stil versus Sicherheit

Hier geht es weiter zur der Gretchenfrage für die stilvollen Royal-Enfield-Owner: Sind mir Gesundheit und Leben oder ein schickes Outfit wichtiger?

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Comments

  1. Gut geschrieben! Ich denke, heute gibt es soviele Möglichkeiten, was mann am Motorrad trägt, dass es kein Problem ist, dich einigermassen gut zu schützen und trotzdem relativ gut auszusehen. Es muss nicht ein knall-gelbes Helm sein. Weiss ist auch gut! Ich habe ein Wachsjacke mit Protektoren, und die hat weniger als 150 Euro gekostet. Gute Hosen kosten auch nicht die Welt. Natürlich gibt es teuere Sachen, aber neulich hat mir ein Verkäuferin bei Polo gesagt, daß sicherheitsmässig, ist ein Helm für 100 Euro nicht viel schlechter als ein Schubert für 600. Die Unterschiede sind in der Passform und details, aber in einem Unfall, ist mann auch gut geschützt. Und mit einem Enfield, wirst du etwas langsamer unterwegs sein, was sehr wichtig ist. Es wird schon gut gehen!

    • Vielen Dank für den Kommentar. Gute Motorradkleidung wird man sicher auch für wenig Geld bekommen. Vielleicht nicht in der Schweiz, denn da ist ja alles etwas teurer. Beim Helm denke ich, wird das Material und die Verarbeitung eine Rolle spiele. Ich kenne mich da nicht so aus, deswegen verlasse ich mich lieber auf namhafte Hersteller.

      Ich hoffe auch, dass es gut geht. Danke für die ermunternden Worte.

      Herzlich
      Thomas Koch

  2. Die wichtigste Voraussetzung ist eine stets gelassene Fahrweise u. niemals von seinem Vorfahrtsrecht ausgehen.
    Wer langsam fährt kommt schliesslich auch an, nur etwas entspannter u. später. 🙂
    Gerade eine RE lädt einen doch zu einer entspannten Fahrweise geradezu ein.
    Ich juckele mit meinem Bulletgespann z.B. gerne langsam auf Nebenstrassen umher u. kann so jeden Kilometer genießen…. einfach ein Hochgenuss.

    Lg Edi

    • Lieber Edi

      Vielen Dank für deinen Kommentar. Das was du schreibst ist eine sehr wichtige Regel beim Motorradfahren.

      Ich freue mich schon auf die Langsamkeit auf den Nebenstrassen.

      Herzlich
      Thomas Koch

      • Hallo,
        bin 56 und habe mir kürzlich auch endlich meinen Traum erfüllt und mir eine RE zugelegt – allerdings eine Continental GT 650. Obwohl diese Maschine eher eine sportliche Fahrweise vermuten lässt, fahre ich auch am allerliebsten mit niedriger Drehzahl und gemütlich mit offenem Visier schön langsam entspannt mit Tempo 60 durch die Landschaft 🙂

  3. Hallo Thomas,
    ja das ist denke ich ein wichtiger Aspekt, neben Demut u. Freundlichkeit allen Lebewesen gegenüber.

    Wünsche eine schöne u. entspannte Saison 2019,
    Beste Grüße,
    Edi

    • Hallo Edi

      „Demut und Freundlichkeit allen Lebewesen gegenüber.“ Das ist ein Moto, dem ich mich anschliesse. Dir auch eine gute und sichere Saison 2019.

      Herzlich
      Thomas

  4. In Österreich sind Wollmützen zugelassen. Bei einem Falltest mit Motoradhelmen ist einem Prüfer versehentlich die Wollmütze mit vom Kopfgefallen, das Ding hatte keinen Kratzer!! Seit her sind Wollmützen auch zugelassen.

    • Nichts gegen Österreich. Dort gibt es die Helmpflicht seit 1979, eine traumhafte Küche, köstliche Weine, verführerische Süsswaren und wunderbaren Kaffee. Ich liebe dieses Land. 🥰

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